2022-09-27-0252

ich verstehe nicht, warum alle so leise sind. jetzt ist es zeit laut zu werden gegen die leise musik. in einer zeit, in der die größten vollidioten die lautesten sind, muss man zurückschreien. wer nicht zurückschreit, dient nur der selbsteinschläferung und gegenaufklärung.

das iema-konzert gestern im kleinen saal der hfmdk frankfurt war eine enttäuschung. diese hervorragenden, aber armen musiker:innen müssen leider sehr viel schrott spielen. jong hoon kims pas de deux in front of golden calf for large ensemble krankt schon am namen. wer das goldene kalb bemüht, hat im grunde schon den zeigefinger erhoben: ihr dummen menschen, hört doch lieber auf die propaganda. das stück merkt nicht, wie es selber das goldene kalb sein müsste, um das man tanzt, wenn man die fessel der religiösen gewalt (#kopftuch #abtreibung) besiegt hat. stattdessen ein abklatsch mit ein bisschen stravinski-, hindemith- und zimmermann-feeling. halbwegs gut gemacht für jemanden, der nur ein jahrtausend erlebt hat. umso mehr stellt sich die frage, ob die z-generation überhaupt noch eine wut angesichts aller welt-katastrophen entwickeln kann — oder die boomer sie schon längst ökonomisch erdrosselt hat.

agnes von kathrin a. denner. wenn der wikipedia-eintrag dieser person schon sätze enthält wie „erkannte sie, dass der Bruch zwischen Spätromantik und Ligeti nicht so groß war, wie sie gedacht hatte“ und ich entgegnen möchte WIR MÜSSEN DIE ROMANTIK ENDLICH ZERSTÖREN, dann habe ich schon keine lust mehr. rihm-schülerin. ich will nach hause. agnes. wikipedia sagt: „Da das römische Recht die Hinrichtung von Jungfrauen verbot, befahl man, Agnes vollständig zu entkleiden und anschließend zu vergewaltigen. Die Legenda aurea berichtet, dass daraufhin auf wundersame Weise ihr Haupthaar ihren gesamten Körper bedeckte, und der ganze Platz in weißem Licht erstrahlt sei. Bei dem Versuch, sie zu vergewaltigen, wurde der Sohn des Präfekten von einem Dämon heimgesucht und starb. Agnes habe ihn aber durch ihr Gebet ins Leben zurückgerufen, worauf sie als Zauberin oder Hexe bezeichnet wurde. Als man Agnes daraufhin auf dem Scheiterhaufen verbrennen wollte, sei selbst das Feuer vor ihr zurückgewichen.“ hat sicher so stattgefunden. das stück wollte wahrscheinlich dieses weiße unschuldige licht sein. das wir auch alle brauchen in dieser zeit. während frauen tatsächlich vergewaltigt werden, im krieg in der ukraine, in allen kriegen, und durchschnittlich alle 3 bis 4 tage in frankfurt laut polizeistatistik. ein bisschen leise trompete, weil sie selber trompete spielt.

rebecca saunders‘ fletch hallt noch ein bisschen anders nach. allein der titel vielversprechender: die befiederung am ende eines pfeils, der stabilität in die flugbahn bringt. kriegsentscheidend heute sicher nicht mehr, aber zumindest auf den krieg verweisend — übrigens 2012 geschrieben. auch wenn der genuss vor ort eher begrenzt blieb, da trotz (wenig) varietät doch sehr redundant (luhmann hätte seine freude an dieser formulierung?), ist genau diese sich wiederholende varietät vielleicht in einem bataillon bogenschützen zu finden, die minutenlang auf das ziel schießen. vielleicht hätte man durchaus an der varietät auch interpretatorisch schrauben können. vielleicht muss man aber auch zuallererst es unterlassen noch irgendwelche streichquartette schreiben — diese relikte feudaler musikkultur.

pause. apropo kultur. sehr kultivierte neue musik bisher und nicht nur an diesem abend. kultiviert im sinne von: alle wissen, was zu tun ist als komponierende. doch die kunst bleibt auf der strecke. außer am ehesten noch bei saunders. denn sie hatte wahrscheinlich nie die intention, auf den jetztigen krieg zu verweisen. vielmehr ist ihre prämisse wahrscheinlich bild-musikalisch, nämlich vom bild der befiederung und also in diesem fall auch des loslassens der spannung des gespannten bogens, die musikalisch aber umgekehrt übersetzt werden muss: durch die streichbewegung, die mit dem gespannten bogen auf der saite gemacht werden muss. dass ich mir diese und andere gedanken über das stück machen kann, das macht das stück zur kunst. dass bei den anderen stücken schon alles vorgedacht ist und dann schlimmstenfalls bis in den kitsch noch so klingen, ist kultur.

weiter mit kultur. loïc destremau: twist and turn and twit and twat. mit stereo-zuspiel immerhin. willkommen im 20. jahrhundert. kauderwelsch in zuspiel und ensemble. im programmheft steht sinngemäß, dass ein twit-twat jemand ist, der ständig alles nachschlägt. erwischt. sonst habe ich mich vom stück aber nicht angesprochen gefühlt. denn ich habe ja kein kauderwelsch gesucht und mich berieselt, sondern mich tiefsinnig informiert. dem komponisten ist ähnliches zu wünschen, nicht so lange sich der medialen informationsflut hinzugeben — geschweige denn, das auch noch einem publikum aufzuzwingen. zeig mir, was dir wichtig ist. zeig mir nicht, was du „kritisch“ findest und ich eh schon weiß.

pablo garretón: additive/disintegration. disintegration klingt schon mal vielversprechend. außer großer technischer aufwand wurde hier aber nichts betrieben. gerade mit live-elektronik hätte man die chance, die ganzen analogen instrumente umzustülpen und zu desintegrieren. stattdessen minimale klangmodifikationen, hier und da so etwas wie amplitudenmodifikation, trr trr. das stück, an das ich mich am wenigsten erinnere. schade.

weniger komponist:innen mehr improvisierende musiker:innen, da passiert wenigstens halt nur das, was halt passiert.